§ 7 Frühintervention
(1) Verstößt eine minderjährige Person gegen § 2 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder Nummer 8, ohne sich nach § 34 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder Nummer 8 strafbar zu machen, hat die zuständige Polizei- und Ordnungsbehörde unverzüglich die Personensorgeberechtigten hierüber zu informieren.
(2) Bei gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Wohls des Kindes oder des Jugendlichen hat die zuständige Polizei- und Ordnungsbehörde darüber hinaus unverzüglich den zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu informieren und die aus ihrer Sicht zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos erforderlichen Daten zu übermitteln. Gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung können insbesondere bei Hinweisen auf ein riskantes Konsumverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Alters der minderjährigen Person vorliegen. § 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz gilt entsprechend.
(3) Das Jugendamt hat unter Einbeziehung der Personensorgeberechtigten darauf hinzuwirken, dass Kinder und Jugendliche geeignete Frühinterventionsprogramme oder vergleichbare Maßnahmen auch anderer Leistungsträger in Anspruch nehmen.
Überblick
Die Strafvorschriften (§ 34) sind so ausgestaltet, dass eine Strafbarkeit für Jugendliche auch erst dann gegeben ist, wenn auch der zulässige Handlungsrahmen für Erwachsene überschritten ist. Relevant ist dies für die Umgangsformen des Besitzes, Anbaus sowie des Erwerbs und der Entgegennahme von Cannabis (vgl. § 34 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 8). Bei minderjährigen Personen, die zwar gegen die verwaltungsrechtlichen Verbote des Besitzes, Anbaus, Erwerbs oder der Entgegennahme nach § 2 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 verstoßen, sich jedoch nicht nach § 34 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 strafbar machen, soll zur Sicherung des Kindeswohls möglichst frühzeitig interveniert werden.
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Regelungsinhalt
Absatz 1
Zur Wahrung des verfassungsrechtlich geschützten elterlichen Erziehungsrechts gemäß Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes verpflichtet Absatz 1 die zuständige Polizei- und Ordnungsbehörden daher, die für die Gewährleistung des Kindeswohls primär verantwortlichen (personensorgeberechtigten) Eltern über einen Verstoß gegen § 2 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 zu informieren, sofern keine Strafbarkeit der minderjährigen Person nach § 34 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 gegeben ist. Den Eltern obliegt es zunächst, die aus ihrer Sicht notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, Hilfen in Anspruch zu nehmen und ggf. eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Die Information an die Eltern kann mit Hinweisen auf Beratungs- und Unterstützungsangeboten verbunden werden. [1]
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Absatz 2
Begründet der Verstoß gegen § 2 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 – bei Nichtvorliegen einer Strafbarkeit der minderjährigen Person – aus Sicht der zuständigen Polizei- und Ordnungsbehörde gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, ist diese nach Absatz 2 Satz 1 verpflichtet, neben den Personensorgeberechtigten auch das Jugendamt zum Schutz der minderjährigen Person zu informieren. Die Entscheidung über die Mitteilung trifft die übermittelnde Stelle danach, ob aus ihrer Sicht die Übermittlung der Daten und Tatsachen zur Abwehr einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlich sind. Die Mitteilungspflicht ist beschränkt auf die zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos erforderlichen Daten. Mitteilungspflichtige Daten und Tatsachen sind diejenigen, deren Kenntnis aus Sicht der übermittelnden Stelle zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos oder zur Abwendung einer Gefährdung durch das Jugendamt erforderlich ist. Hierzu gehören die Personalien des jungen Menschen sowie die Tatsachen, die aus Sicht der übermittelnden Stelle gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung begründen.[2]
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Absatz 2 Satz 2 bietet Anhaltspunkte für die Konkretisierung des Begriffs der gewichtigen Anhaltspunkte im Kontext von Verbotsverstößen durch minderjährige Personen nach dem KCanG dadurch, dass beispielhaft auf Hinweise auf ein riskantes Konsumverhalten Bezug genommen wird. Besondere Berücksichtigung muss hierbei das Alter des jungen Menschen finden, da Konsumrisiken vor allem im Hinblick auf die kindliche Entwicklung indirekt proportional zum Alter des jungen Menschen steigen.[3]
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Absatz 2 Satz 3 stellt klar, dass bei Bedarf auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei- und Ordnungsbehörden einen Anspruch auf Beratung zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Einzelfall haben. Durch den Anspruch auf Beratung wird die übermittelnde Stelle nicht nur bei der Einschätzung der Gefährdungslage unterstützt. Sie wird auch dazu beraten, welche Informationen das Jugendamt benötigt, um seinen Schutzauftrag wahrzunehmen. [4]
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Absatz 2 Satz 3 stellt klar, dass bei Bedarf auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei- und Ordnungsbehörden einen Anspruch auf Beratung zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Einzelfall haben. Durch den Anspruch auf Beratung wird die übermittelnde Stelle nicht nur bei der Einschätzung der Gefährdungslage unterstützt. Sie wird auch dazu beraten, welche Informationen das Jugendamt benötigt, um seinen Schutzauftrag wahrzunehmen. [5]
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Absatz 3
Nach Information des Jugendamtes kommt dessen Schutzauftrag nach § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zum Tragen. Das Jugendamt muss eine Einschätzung des Gefährdungsrisikos vornehmen und auf deren Grundlage die im Einzelfall notwendigen Maßnahmen ergreifen, die von Angeboten des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (§ 14 SGB VIII), vom Angebot erzieherischer Hilfen gegenüber den Personensorgeberechtigten (§ 8a Absatz 1 Satz 3 SGB VIII), der Anrufung des Familiengerichts (§ 8a Absatz 2 Satz 1 SGB VIII) bis zur Inobhutnahme (§ 8a Absatz 2 Satz 2 SGB VIII) reichen können. Soweit zur Abwendung der Gefährdung notwendig, wirkt das Jugendamt auch auf die Inanspruchnahme von Maßnahmen anderer Leistungsträger, wie z. B. der Einrichtungen der Suchthilfe, durch die Erziehungsberechtigten hin bzw. schaltet diese Stellen selbst ein, wenn die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht mitwirken (§ 8a Absatz 3 SGB VIII).[6]
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Zu Maßnahmen dieser Stellen gehören insbesondere auch Frühinterventionsprogramme. Sie haben das Ziel, dem jungen Menschen eine kritische Reflexion seines Verhaltens zu ermöglichen, ihn durch Aufklärung und Beratung zu motivieren, mehr Selbstverantwortung zu übernehmen und auf eine Verhaltensänderung hinzuwirken. [7]
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Als Beispiel eines gut etablierten, wirksamen Frühinterventionsprogramms ist das Programm „Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten (FreD)“ zu nennen. In der Regel umfasst es neben einem Erst- und Abschlussgespräch einen Gruppenkurs von insgesamt acht Stunden. [8]
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Es wird angestrebt, das Angebot an Frühinterventionsmaßnahmen soweit auszubauen, dass allen jungen Menschen, die gegen § 2 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 verstoßen, sich aber nicht strafbar machen, Zugang zu entsprechenden Maßnahmen mit verhältnismäßigem Aufwand ermöglicht werden kann. Um eine niedrigschwellige Teilnahme zu ermöglichen, sollen nach Möglichkeit auch digitale Angebote zur Verfügung gestellt werden. Behandlungsangebote für Kinder und Jugendliche mit einem riskanten Konsum oder einer bereits bestehenden Abhängigkeit sollen ausgebaut werden[9]
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Soweit sich Minderjährige – wie Erwachsene – strafbar machen, gelten zwar nicht die Regelungen des § 7 zur Frühintervention, jedoch weiterhin die besonderen Rechtsfolgenbestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes (§ 2 Absatz 2 JGG, §§ 5 ff. JGG). [10]
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Bei Minderjährigen, die noch nicht strafmündig sind (Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben) und gegen das verwaltungsrechtliche Umgangsverbot mit Cannabis nach § 2 Absatz 1 Nummer 1, 2 oder 8 verstoßen, sind die Maßnahmen der Frühintervention eine Ergänzung zu den bereits bestehenden Maßnahmen, die bei strafunmündigen Personen, die gegen Verbotsnormen verstoßen, angewendet werden können. [11]
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Einzelnachweise
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99
- ↑ BT-Drs. 20/8704, S. 99